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Floptrend Nummer Eins?

Wir beginnen mit einem Rätsel:

Ein Vater fährt seinen Sohn zu einem Job-Interview. Der Sohn bewirbt sich für eine Stelle bei einem großen Wertpapierhandelsunternehmen. Gerade als sie auf den Firmenparkplatz abbiegen, klingelt das Telefon des Sohnes. Dieser sieht zu seinem Vater rüber, der sagt: „Geh’ ruhig ran.“ Der Anruf ist vom CEO des Handelsunternehmens, bei dem der Sohn sich bewirbt. Die Stimme sagt: „Viel Glück mein Sohn. Du schaffst das.“ Der Sohn legt auf und sieht noch einmal zu seinem Vater herüber, der immer noch neben ihm im Auto sitzt. Wie ist das möglich?

Teilt gerne euren Denkprozess mit uns als Antwort auf diese Mail. Wie ein paar andere Menschen auf dieses Rätsel reagiert haben und wie es aufgelöst wird, seht ihr in diesem Video.

Hinter den Kulissen: Flop Trend Nummer Eins?

Wenn wir während der Zusammenarbeit mit unseren Kund*innen in Erfahrung bringen, welche Megatrends als besonders relevant erachtet werden, variieren die Antworten je nach Branche, Organisation und Projekt. Wenn wir anschließend nach der subjektiven Einschätzung für ihre Floptrends fragen, sind sich unsere Kund*innen, branchenübergreifend jedoch immer überraschend einig. Unangefochten auf Platz Eins steht hier ein Megatrend: Gender Shift.

Diejenigen von euch, die unseren Newsletter regelmäßig lesen, wissen, dass wir in diesem Jahr jeden Monat einen anderen Megatrend in den Fokus unserer Arbeit setzen. Im November nehmen wir also den vermeintlichen Floptrend Gender Shift unter die Lupe. Dieser Newsletter ist wie immer keine vollständige Evaluation des Megatrends, sondern bietet Denkanstöße, um ins Thema einzutauchen. Dafür werfen wir einen rationalen Blick auf ein paar Zahlen und teilen Trend Practices mit euch, die auf emotionaler Ebene zu berühren vermögen. Tauchen wir ein!

Break the Bias

Habt ihr das obige Rätsel lösen können? Vielleicht hat euch das Titelbild unseres Newsletters schon einen Hinweis darauf gegeben, in welche Richtung die Lösung geht. Vielleicht war es für euch, salopp gesagt, aber auch ein absoluter No-Brainer, weil es selbstverständlich ist, dass ein CEO ein Mann oder eine Frau sein kann. Die Reaktionen im Video zeigen, dass zumindest im Jahr 2020 diese Selbstverständlichkeit nicht galt. Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist (noch) nicht erreicht, ganz gleich, ob wir auf etablierte Unternehmen, frisch gegründete Startups oder ganze Staaten samt wirtschaftlicher, gesundheitlicher, politischer und Bildungsstrukturen schauen. Zur Einstimmung ein paar Zahlen:

📊 Am 1. September 2022 befanden sich der AllBright-Stiftung nach in den Vorständen der 160 deutschen Börsenunternehmen 599 Männer und 99 Frauen.

📊 Dem Startup Monitor 2022 zufolge lag der Gründerinnenanteil bei deutschen Startups zuletzt bei 20,3 Prozent – im Vergleich zu 17,7 Prozent im Vorjahr.

📊 Der Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums dokumentiert regelmäßig, zu wieviel Prozent wir jene Lücke geschlossen haben, die zwischen dem Status Quo und einer faktischen Geschlechtergerechtigkeit bei Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und politischer Teilhabe steht. In Europa ist diese Lücke im Jahr 2022 erst zu 76,6 Prozent geschlossen. Das bedeutet, dass wir bei gleichbleibender Geschwindigkeit im Jahr 2082 Geschlechtergleichheit erreicht haben. Die Autorin des heutigen Newsletters wird dann 90 Jahre alt sein. Wie alt bist du dann?

Wir reproduzieren in unseren Entscheidungen oft unbewusst den Status Quo – und verwehren uns selbst die Möglichkeit, von einer guten und anderen Zukunft zu profitieren. Während eines Interviews, das wir im Rahmen einer Publikation für die Finanz Informatik vergangenes Jahr mit der stellvertretenden Sparkassen-Vorständin Annegret Saxe führen durften, wies sie darauf hin, dass Personalentscheidungen in Unternehmen nicht immer nur den Pool der „üblichen Verdächtigen“ fokussieren dürften: Vielfalt muss aktiv gesucht werden. Vielfalt bezieht sich dabei nicht nur auf das Geschlecht: Gibt es in euren Organisationen unbewusste Vorurteile, die mit Alter, Ausbildung, Herkunft oder Arbeitszeitmodellen zusammenhängen? Wie könnt ihr einem Bias, also einer unbewussten Voreingenommenheit, entgegen steuern? 

Beyond the Binary

Vor ein paar Wochen hörten wir den vorwurfsvollen Satz: „Denk doch nicht so binär!“ Aus Trendforschungsperspektive ein wunderbarer Fund für ein sogenanntes Schwaches Signal, d.h. einen möglichen Indikator für Wandel. Denn Gender steht schon seit einer ganzen Weile nicht mehr exklusiv für ein binäres System von Männern und Frauen. So beschreibt Gender eine „Reihe von sozial konstruierten Rollen, Verhaltensweisen, Aktivitäten und Eigenschaften, die eine bestimmte Gesellschaft für angemessen hält“. Dass das biologische Geschlecht und Gender, also das gefühlte und praktizierte Geschlecht, nicht immer deckungsgleich sind, ist mittlerweile weithin bekannt und in den meisten Fällen akzeptiert. Dass dies Auswirkungen auf unser Miteinander hat, ist vermutlich natürlich und zeigt sich wie so oft zuerst in der Popkultur, beispielsweise in Fernsehserien wie Transparent, Sex Education, Pose oder Euphoria, oder auch in genderfluiden Fashion-Statements von Musikidolen wie Harry Styles, der das Cover der US-amerikanischen Vogue ziert – und dabei ein Kleid trägt.

Als zukunftsorientierte Strategieberatung schlagen wir in der Zusammenarbeit mit unseren Kund*innen die Brücke zwischen dem Wandel in der Gesellschaft und (meist) wirtschaftlichem Handeln. Wie macht sich der Gender Shift in der Arbeitswelt bemerkbar? Es folgt eine unvollständige Sammlung Schwacher Signale.

🟣 Unter dem Stichwort Democratic Design veröffentlichte Microsoft vor ein paar Monaten eine eigene Variante der Pride Flag, ein Symbol der LGBTQIA+ Community. Seit Oktober ist diese Flagge unter einer Open-Source-Lizenz verfügbar, sodass sie weiterentwickelt und an die eigene Community der Nutzer*innen angepasst werden kann. Wer Vielfalt annimmt und zugänglich macht, kann Menschen mitreißen, Eigenes zu gestalten.

🟣 Diverse Uniformität: Während der vergangenen sechs Wochen haben gleich zwei große Mobilitätsunternehmen Gender-Fluidität in ihre Kleiderordnungen aufgenommen. Bei der Fluggesellschaft Virgin Atlantic und bei der Deutschen Bahn darf das Personal nun sämtliche Uniformteile im Dienst tragen – egal, ob diese ursprünglich für Männer oder Frauen konzipiert wurden.

🟣 Gendervielfalt als Geschäftsmodell: Ohne zu belehren, aber unter Ausübung radikaler Sichtbarkeit, stellt die Buchhandlung She Said Books in Berlin diverse Autor*innen, Themen und Romanfiguren ins Zentrum ihres Portfolios – und bietet unter anderem Eltern, die ihren Kindern Vielfalt als Standard beibringen wollen, das nötige Produktangebot.

🟣 Immer mehr Menschen notieren in ihrer E-Mail-Signatur oder in ihrem LinkedIn-Profil, mit welchen Pronomen sie angesprochen werden wollen. Der Grund: Niemand soll belehrt, sondern Missverständnisse sollen vermieden werden. Nur weil jemand stereotyp männlich aussieht, heißt das nicht, dass diese Person das auch ist. Einen ersten Einstieg in gendersensibles Vokabular liefern beispielsweise dieser Artikel und diese Website.

🟣 Auch vor dem War for Talents macht der Megatrend Gender Shift keinen Halt. Wie die Recruiterin und Influencerin Gazelle Vollhase in einem Kurzvortrag vor einer Woche so prägnant formulierte: Talentierte, junge Menschen „gendern alle an die Wand“. Sie nutzen Gender-inklusive Sprache als gäbe es kein Morgen. Unternehmen, die das ignorieren, verbauen sich den Zugang zu wertvollen Arbeitskräften und neuen Perspektiven.

Tatsächlich manifestiert sich in den emotionalen Debatten, die wir rund um den Megatrend Gender Shift führen, wie wichtig uns ein gutes Morgen ist. Gender erhitzt die Gemüter, weil es uns alle zu berühren scheint. Das hört sich für uns eigentlich ziemlich relevant an. Eher nach Top- als nach Floptrend. Und für eine gute Zukunft lohnt es sich, miteinander in Dialog zu treten. Diverse Perspektiven einzufangen, die dazu führen, dass wir eine Zukunft gestalten, die jede*n mitdenkt. Dazu gehört, dass wir über Gender reden. Damit es irgendwann nicht mehr der Rede wert ist.

Wer bis zum Ende dieses langen Artikels durchgehalten hat (Glückwunsch!) und im November auf dem Laufenden bleiben will, wenn es um den Megatrend Gender Shift geht, folgt uns am besten bei Instagram oder LinkedIn.

Wir freuen uns dort auf eure Gesellschaft!

📅 Save the Dates: Am 24.11.2022 findet wieder unser monatlicher Lunch before Innovation mit Innovationsexpertin und Autorin dieses Newsletters, Vitalia Safronova, statt. Diesmal ist Rea Eldem zu Gast: Sie ist Gründerin von IN-VISIBLE, der Agentur für gendergerechte Arbeitskultur, und spricht mit Vitalia darüber, wie das Nachdenken über Gender mit Innovation zusammenhängt. Die Teilnahme ist kostenlos.
Set the Dates: Um eure Arbeitskultur zu reflektieren, eure Erfolge in diesem Jahr zu feiern und einen positiven Startschuss für 2023 zu gestalten, könnt ihr übrigens einen Blick auf unser neu entwickeltes Format Team-Time werfen. Und für alle, die gemeinsam Spaß haben und dabei Neues lernen möchten, ist kurz vor Weihnachten unser Megatrend-Quiz das Richtige – eine Gender-Shift-Frage inklusive. 😉

 

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