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Sind wir nicht alle ein bisschen silver?

„Wenn Du älter wirst, verlierst Du das Interesse an Sex, Deine Freund*innen sterben, Deine Kinder ignorieren Dich. Es gibt natürlich noch andere Vorteile, aber die genannten sind doch die größten.

Was der ehemalige britische Politiker Richard Needham über das Altern sagt, steckt natürlich voller Ironie. Doch in einem Punkt hat er völlig Recht: Wir sollten eine andere Perspektive auf das Altern einnehmen. Sie entscheidet im großen Maß darüber, wie wir im Alter leben – und ob wir dabei glücklich sind oder nicht.

Alt ist unser Altersbild
Fakt ist: Die westlichen Gesellschaften werden älter. Nach den aktuellen Bevölkerungsprognosen der Bundeszentrale für politische Bildung werden im Jahr 2060 rund 27 Prozent der Bevölkerung über 67 Jahre alt sein. Zum Vergleich: Im Jahr 1970 betrug der Anteil 11 Prozent. Was für die Rentenkassen und Zukunftsskeptiker*innen eine apokalyptische Vorstellung ist, stellt sich für uns als chancenreicher Modernisierungsschub dar. Für uns der Grund, im Monat Juni den Megatrend Silver Society unter die Lupe zu nehmen. Im Naming steckt bereits eine neue Perspektive. Denn alt ist unser Altersbild. Wir sprechen daher lieber von einer Gesellschaft der Silberhaarigen.

Obgleich die Bevölkerung als Gesamtheit älter wird, fühlen sich Einzelne länger jung. Dieser Un-Ruhestand bedeutet Offenheit für Neues, ein Weiterlernen und -arbeiten im Alter, körperliche Aktivität und bewusste Ernährung. Die Wirklichkeit hat sich bereits schneller verändert, als viele glauben. Hierzu ein paar Facts:

💼 Die Erwerbsbeteiligung der 60- bis 64-Jährigen hat gemäß den Zahlen des Statistischen Bundesamts so stark zugenommen wie in keiner anderen Altersgruppe: Sie ist in den letzten zehn Jahren von 41 Prozent (2010) auf 61 Prozent (2020) gestiegen.

🌐 Inzwischen gibt es eine stetig wachsende Gruppe von über-50-jährigen Oldfluencer*innen. Zu ihnen zählt auch die 74-jährige Joan McDonald. Sie erreicht mit 1,4 Millionen Follower*innen vor allem das fitnessbegeisterte Publikum auf Instagram.

👩🏻‍🦳 Carmen Dell’Orefice modelt seit den 1940er-Jahren und ist mit ihren 90 Jahren das älteste Model der Welt.

🏝 Laut Rentenversicherung steigt die Zahl derer, die ihren Alterswohnsitz ins Auslandverlagern, schneller als die der die Ruheständler*innen an sich.

👴🏽 Senior-Entrepreneurships sind ein wichtiger Bestandteil der deutschen Start-up-Kultur. Unter den Gründer*innen befinden sich ebenso viele 55- bis 64-Jährige wie 18- bis 24-Jährige.

Co-Housing hält jung und fit
Besonders großes Innovationspotenzial liegt im Bereich des Wohnens. Hier fragen sich viele: Was gibt es für innovative Lösungen, um im Alter glücklich und selbstbestimmt zu leben? Befragt man die Altersgruppe ab 50 Jahren: „Wie möchten Sie im Alter von 70 Jahren wohnen?“, antworten 67 Prozent: in der eigenen Wohnung bzw. im eigenen Haus ohne Hilfe. Diese Idealvorstellung ist nicht verwunderlich. Bemerkenswert ist der von einem Drittel geäußerte Wunsch: Mehrgenerationen-Wohnen. Im Vergleich dazu sind Pflegeheim/Senior*innenresidenz nur für 15 Prozent die präferierte Wohnform. Was verbirgt sich hinter diesen Zahlen? Die Menschen wollen möglichst lange ein aktives Leben führen und vor allem in Gemeinschaften eingebettet sein. Die Gefahr der sozialen Isolation ist in höherem Alter besonders groß. In Großbritannien führte es dazu, dass 2018 ein Ministerium gegründet wurde, welches sich mit der Thematik der Einsamkeit befasst. Mit einem Fond für das Knüpfen von Kontakten werden zahlreiche Projekte unterstützt. Hierzu gehören auch innovative Wohnprojekte, die das Miteinander von Jung und Alt fördern. Co-Housing spielt dabei eine zentrale Rolle. Dabei werden bestimmte Flächen wie z.B. der Garten oder auch eine große Küche gemeinschaftlich genutzt.

Die Idee des Co-Housing ist nicht neu. Sie begann in den 1970ern in Dänemark und erfährt gerade in den letzten Jahren deutlichen Zuspruch. In Deutschland ist die Samtweberei Krefeld ein aktuelles Beispiel. Hier sind 37 Mietwohnungen unterschiedlichen Größen und für verschiedene Haushalts- und Wohnformen entstanden. Mehrgenerationen-Wohnen ist durch die weitgehend barrierearme Gestaltung ermöglicht. Ein Nachbarschaftszimmer im Erdgeschoss wird als Gemeinschaftsraum für Initiativen des Viertels und für das Wohnprojekt genutzt. Über das Projekt Viertelstunden leisten die Bewohner*innen einen Beitrag für gemeinwohlorientierte Projekte im Stadtteil. Die Architektin Grace Kim sagt in ihrem wunderbaren TED-Talk: „Co-Housing can save your life.“ Damit spielt sie auf zahlreiche Studien an, die eindeutig belegen: Einsame Menschen sterben früher.

Langlebigkeit wird zum Zukunftsmarkt
Der relevante Hebel für ein glückliches und selbstbestimmtes Leben liegt in sozialen Innovationen: neue Wohnformen, die Integration von Älteren in Berufe und Ehrenämter, das Miteinander von Jung und Alt. Nichtsdestotrotz gibt es auch den Wunsch nach der Zauberpille – mit der richtigen Medizin ein langes, gesundes Leben zu ermöglichen. Im Silicon Valley, wo stets nach dem Motto „Think Big“ vorgegangen wird, wurde die Latte noch höher gelegt: Warum nicht gleich den Tod besiegen? Mit der richtigen Technologie sollte auch dies möglich sein. Und so hat der uralte Traum von Unsterblichkeit in den letzten zehn Jahren zu zahlreichen Unternehmensgründungen im Zukunftsmarkt der Langlebigkeit geführt. Prominentes Beispiel ist die zum Alphabet-Konzern (Google) gehörende Unternehmung Calico – „the company that can cure death.“ An der Schnittstelle zwischen Big Data-Analyse und Biotechnologie werden medizinische Therapien entwickelt, um die Lebensspanne zu verlängern.

Aus Kalifornien kommt auch die Human Longevity Inc. Sie wurde von Craig Venter gegründet, dem es als erster Wissenschaftler gelang, das menschliche Genom zu sequenzieren. Mit seiner Expertise startet er nun eine Klinikkette, die zahlungswilligen Kund*innen ein „100+ program“ anbietet. Für rund 25.000 Dollar kann man sich dem Health Nucleus Check-up unterziehen. Dieser beinhaltet eine personalisierte Genom-Analyse auf deren Basis ein umfangreiches medizinisches Programm entwickelt wird, welches das Versprechen wahr machen soll, mindestens 120 Jahre alt zu werden. Auch in Europa entwickelt sich der Markt der Langlebigkeit. Rund um den Investor Christian Angermeyer bildet sich im Schweizerischen Genf das Swiss Longevity Valley mit zahlreichen Biotech-Firmen heraus. Für die europäische Langlebigkeits-Szene gibt es mit der Undoing Ageing in Berlin bereits ein eigenes Konferenzformat, um sich über die neuesten Entwicklungen auszutauschen.

Uns persönlich ist dieser technologische Ansatz zu einseitig, doch die Skalierungsmöglichkeiten technischer Innovationen sind natürlich höher als bei sozialen Innovationen. Wer sich dennoch mit letzteren beschäftigen möchte, dem empfehlen wir unser Silver Paper Potenziale des Megatrends Silver Society.

Eine lange, erfüllte Zukunft wünscht euch euer

Silver Team von Zukunftsinstitut Workshop